KOMMENTAR - Die Duale Karriere
Müssen Sportler Urlaubssemester einlegen, um die Qualifikation für Olympia zu schaffen? Gehen Spitzenathleten nur deshalb zur Polizei, weil sie dort Sport und Karriere am besten vereinen können? Lässt sich das amerikanische System übertragen, wo Sportler ihr Studium am Trainingsplan ausrichten und nicht andersherum? Und: Wollen wir das überhaupt?
Es sind auch solche Fragen, die in der aktuellen Diskussion um eine Reform der Leistungssportförderung auf Antworten warten. Der Begriff Duale Karriere steht im Mittelpunkt, doch ist dabei oft gar nicht klar, worüber eigentlich gesprochen wird. Es geht darum, jungen Athletinnen und Athleten die Chance zu gewähren, einerseits ihre sportlichen Talente zu entfalten, aber gleichzeitig passende Möglichkeiten und Rahmenbedingungen in der schulischen und beruflichen Bildung und später auf dem Arbeitsmarkt zu bieten. Hier liegen
noch viele Möglichkeiten, die Zukunft des Leistungssports hierzulande zu gestalten.
Aber vor allem gilt: Auch für das Gelingen dieser Dualen Karriere trägt ein humanes Leistungssportsystem gemeinsam mit seinen Partnern Verantwortung. So wie der Deutsche Olympische Sportbund es seit einigen Jahren mit einem Zehn-Punkte-Programm weiterentwickelt. Auch die vielen Gespräche und Diskussionen dieser Tage gerade mit Athletinnen und Athleten zeigen: Vor allem gilt es dabei, jeden einzelnen Fall für sich zu betrachten. Für jede Sportart, für jeden Sportler müssen individuelle Lösungen gefunden werden, sagt der DOSB-Vorstand Leistungssport Dirk Schimmelpfennig. Denn es gibt sie nicht, die eine klassische Definition der Dualen Karriere im Sport.
Für die einen gilt: Schon während ihrer aktiven Zeit arbeitet ein Athlet an seiner beruflichen Ausbildung, er macht sein Abitur, absolviert ein Studium oder eine Ausbildung bestenfalls zu angepassten Bedingungen. Der Säbelfechter Max Hartung ist so ein Fall. Ihm habe es ein gutes Gefühl gegeben zu wissen, da sei noch ein anderes Feld, auf dem er gut sei, sagt er. Aber es sei schwierig, es so zu integrieren, dass das jeweils andere nicht leide. Eine harte Zeit bei Hartung hat das mit Einschränkung, wie er sagt, geklappt. Er hat sein Studium in der Regelstudienzeit durchgezogen. Doch es bleibe das Gefühl: Wenn ich mehr Unterstützung gehabt hätte, als Sportler den Bachelor nicht in drei, sondern in fünf Jahren hätte machen können, dann hätte ich alles geschmeidiger, aber auch mit mehr Energie absolvieren können.
Im Tischtennis gibt es andere Beispiele: Dort haben sich viele der Top-Athleten nach der Mittleren Reife voll und ganz auf den Sport konzentriert, um mit den Asiaten mithalten zu können. Sie sind erst nach der Sportkarriere ihren beruflichen Weg gegangen durchaus erfolgreich.
Wieder andere haben beispielsweise das Angebot der Polizei angenommen, Ausbildung und Sport mit vielen Freiheiten für Training und Wettkampf unter einen Hut zu bringen. Hinzu komme, so sagt beispielsweise die Siebenkämpferin Carolin Schäfer, das Wissen, danach einen sicheren Arbeitsplatz bei der Polizei zu haben. Das sei unglaublich viel wert. Das ist wichtig für den Kopf und macht mich im Sport stark.
Für einen wie den Schwimmer Jan-Philip Glania dagegen hat das nicht gepasst. Er kennt zwar die Vorteile, weiß auch aus einem Trainingsaufenthalt, unter welchen professionellen Bedingungen amerikanische Studenten ihrem Sport nachgehen können. Doch er wollte einfach Zahnmedizin studieren und zugleich Leistungssport treiben, auch wenn sich das Studium darüber zwangsläufig in die Länge zieht. Er habe schließlich vorher gewusst, worauf er sich einlasse, sagt er.
Vieles ist auf dem richtigen Weg. Die Kultusministerkonferenz und Sportministerkonferenz der Länder haben sich beispielsweise auf die Weiterentwicklung der 43 Standorte der Eliteschulen des Sports geeinigt. Auch haben mittlerweile immerhin 8 der 16 Bundesländer eine Quotenregelung bei Studienplätzen für Spitzensportler eingeführt. Doch es gibt nach wie vor große Herausforderungen.
Zum Beispiel dokumentieren das Zahlen aus dem vorigen Jahr, die Athletensprecher Hartung irgendwie traurig findet: Danach geben mehr als ein Drittel der deutschen Spitzensportler vorzeitig auf, weil sie glaubten oder überzeugt seien, sich für einen der beiden Teile der Dualen Karriere entscheiden zu müssen. Die könnten eigentlich ja noch viel leisten, sagt Hartung. In der Tat: Hier bieten sich noch einige Möglichkeiten.
Jörg Stratmann